Und es war wieder Montag Abend. Die Zeit, in der sich manche deutsche Straße mit Angst vor „Fremden“ füllt. Höchste Zeit für mich, endlich diesen Beitrag zu schreiben.
Das Beste am Reisen waren für mich immer die Leute. Klar, die Natur ist verdammt schön anzuschauen, Museen bilden uns mit leerreichen Texttafeln, und an einem Traumstrand mit Palmen erholt es sich sehr angenehm. Für mich ist ein Urlaub aber erst dann richtig gut, wenn ich einem Einheimischen begegne, der mich in sein Lieblingslokal mitnimmt, um mit mir bis in die Morgenstunden über seine und meine Welten zu philosophieren. Um schließlich immer wieder zu erkennen, dass diese Welten trotz ganz anderer Farben, bei den wirklich wichtigen Fragen gar nicht so unterschiedlich sind.
In 6 Monaten Südamerika hatte ich viel Zeit für solche Begegnungen.
Darf ich präsentieren:
Meine Freunde aus Südamerika
Patricia nimmt mich bei ihrer Familie im Blumenparadies auf, nimmt mir die Angst vorm Spanisch sprechen … und lehrt mich, dass man seine Wertsachen niemals im geparkten Auto lassen sollte…
Miguel zeigt mir sein Bogotá. Er motiviert mich beim Kung Fu Training an der Uni mitzumachen und verrät mir den besten Trick um nicht überfallen zu werden.
Made wird mich drei Wochen mit ihrem Lächeln verzaubern. Und sie wird mir einen magischen (?) Stein kolumbianischer Ureinwohner schenken, damit ich auf der Reise immer sicher bin.
Daniel heißt mich als einzigen weißen Tourist in dem verträumten Dorf an der kolumbianischen Pazifikküste herzlich willkommen. Er zeigt mir, wie man mit bloßen Händen kleine Krebse fängt und erklärt mir was Kokada ist.
Ich treffe Juan auf den Galapagos-Inseln, wo er mir zeigen wird, dass man die Wunder der Welt auch auf eigene Faust erkunden kann. Und dass man nicht jeden Moment zwanghaft im Foto festhalten muss.
Elizabeth wird Nathali und mich über Silvester in Rio beherbergen. So herzlich, dass ich noch einen ganzen Monat länger bleibe und viel über Rio, die Abwasser-Problematik am Traumstrand Ipanema, tödliche Gulli-Deckel und ihre ganz große Leidenschaft – das Meer – lerne. Noch heute schickt sie mir fast täglich Landschaftsaufnahmen von Rio per Facebook. Sie will, dass wir zurückkommen. Und irgendwann wird sie damit Erfolg haben.
Niko wird mich in Buenos Aires aufnehmen, mir einen Partyplan erstellen, eine Reise nach Patagonien organisieren und an Weihnachten für mich, Nathali und seinen jüdischen Partner David ein Weihnachtsessen zubereiten.
Sie kommt aus Venezuela. Er aus Dänemark. In Buenos Aires haben sie gemeinsam eine Saftbar eröffnet. Er hat ein ansteckend fröhliches Lächeln, was er allerdings gerade auf Fotos nicht zeigt, weil er diese Korrekturspange tragen muss. Das muslimische Pärchen verrät mir, dass sich nach ihrer Interpretation des Korans nur verheiratete Männer und Frauen die Hand geben dürfen. Außerdem erfahre ich, wo es am Montag Abend Rabatt auf leckeres argentinisches Eis gibt und worauf es bei frischgepressten Fruchtsäften ankommt.
Eine besondere Begegnung in Berlin Neukölln
Ich könnte noch ein Weile durch meinen Foto-Ordner klicken und mit meinen Begegnungen prahlen. Aber ich wollte noch etwas anderes erzählen. Etwas Wichtiges:
An einem Sommerabend im Jahr 2008 in Berlin-Neukölln,
Ich laufe mit meiner lieben Freundin Lotta durch die leergefegten Straßen. Im Fernsehen läuft die Fußball-Europameisterschaft. Türkei gegen Kroatien. Der Sieger trifft im Halb-Finale auf Deutschland. Dieses Jahr werden wir bestimmt Europameister. Eigentlich wäre es schon witzig das Spiel hier irgendwo zu gucken. An der Ecke gibt es ein Lokal mit Fernseher. Wir gehen hinein. In der nächsten Sekunde überlegen wir direkt wieder rauszugehen. Wir sind versehentlich in einer Bar für deutsch-türkische Männer gelandet. Nicht der richtige Ort für eine kleine, offensichtlich deutsche Frau und einen schwulen, offensichtlich deutschen Mann.
Der Wirt bringt uns zwei Stühle. Wir bleiben. Die Anwesenden werfen uns aus sicherer Distanz leicht beunruhigte Blicke zu. Aber das Spiel ist noch spannender als wir. Verlängerung. Die 119. Minute läuft. Da schießt Kroatien ein Tor. Lotta und ich fluchen. Genau wie die Männer in der Bar. Einer schnappt sich seine Jacke und will gehen. Sein Gesicht hat bereits resigniert. Doch das Spiel ist noch nicht vorbei. Noch ein Tor fällt. Der Ausgleich! In der 120. Minute. „Türkiye!!!“ schreien die kleine Frau und der schwule Mann gemeinsam mit allen anderen in diesem Raum. Und in diesem Jubel zerfällt auch die Distanz, die uns anfangs trennte. Elfmeterschießen. Jeder in diesem Raum will dass die Türkei siegt. 0:0, 1:0, 1:1, 2:1 … Und schließlich das erlösende 3:1 für die Türkei. Der Jubel kennt jetzt keine Grenzen mehr. Wir bleiben noch ein bisschen und wünschen uns gegenseitig, mit Freude in den Augen, ein gutes Halbfinale. Deutschland hat eine gute Mannschaft, sagen die Männer mit Respekt. Ich erinnere, dass an diesem Berliner Sommerabend jeder gelächelt hat.
Ist es nicht irgendwie komisch, dass man solche solche Erlebnisse sonst eher im Urlaub oder auf Reisen hat?
7 Milliarden Freunde
Ich glaube, dass man sich mit den meisten Menschen dieser Erde mal auf ein gepflegtes Bierchen stilles Wasser treffen könnte, und dabei irgendetwas Schönes entdecken würde. Man muss ja nicht gleich mit jedem eine tief gehende Facebook-Freundschaft beginnen. Das könnte mit Geburtstagsgrüßen und dem Liken von Statusmeldungen auch etwas stressig werden. Und ja! Es gibt auch komplette Vollidioten, vor denen wir uns in Acht nehmen müssen. Aber ich will einfach glauben, dass so hässlich unsere Abgründe auch sind, die schönen Seiten in der überwältigenden Mehrheit von uns doch überwiegen.
Wäre ein Welt mit 7 Milliarden Freunden nicht etwas Herrliches? Oder ist das vielleicht die gutmenschlich dümmste und naivste Antwort auf die großen Fragen unserer Zeit?
Schließlich gibt es da ja auch noch unseren vertrautesten, liebsten und ältesten Freund: Unsere Angst.
Unser Freund die Angst
Die Angst vor Menschen, die wir nicht kennen und nicht verstehen. Die Angst an einen Fremden etwas abgeben zu müssen, was uns wichtig ist. Die Angst von einem Fremden hintergangen oder gar beraubt zu werden.
Es gibt Menschen, die haben so viel von dieser Angst, dass sie diese jeden Montag in die Welt hinaus schreien. Ihr Name ist schlau gewählt. Er beleidigt diejenigen, vor denen sie Angst haben, so effektiv, dass sie mit denen keine Gespräche mehr befürchten müssen. Sie schreien. Ganz laut. Damit die Politik endlich aufwacht und was tut. Nur so wird sich schließlich etwas ändern.
Aber ist Angst wirklich die beste Antwort, die uns einfällt?
Und was ist eigentlich die Frage?
„Was macht jetzt die Politik?“ hört man es immer wieder rufen. Aber ist das wirklich die wichtigste Frage? Wenn die Probleme so groß sind. Und wenn die Frage, wo es mit unserer Gesellschaft hingeht, uns doch so wichtig ist. Sollten wir dann nicht zumindest versuchen sie zu beantworten? Statt zu schimpfen, dass andere es nicht für uns tun. Sind wir wirklich so abhängig, so schwach, dass wir immer jemanden brauchen, der für uns spricht?
…
Aber auch das ist noch nicht die richtige Frage.
…
Das ist die richtige:
Kann Ich mit Dir sprechen?
…
Je suis Grégoire. Ich bin ein Träumer. Und wer bist Du?
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