„Guten morgen Gregor“ „Guten morgen Made“ Wir treffen uns in der Küche. Ich habe traumhaft geschlafen. Inzwischen bin ich seit etwas über zwei Wochen in Palmtree-Hostel in Medellin und gehöre so ein bisschen zum Team. Nein, zur Familie! Und Mitglieder der Familie haben besondere Privilegien. So hatte ich zuerst eine niegelnagelneue Federkernmatratze bekommen. Später wurde ich dann in ein Drei-Mann-Zimmer umgelegt, in dem ich teilweise allein gewohnt habe. Von Madeluz, die ich inzwischen Made nennen darf, habe ich außerdem ein magisches Armband geschenkt bekommen. Von indigenen Völkern gefertigt, soll es mich vor Gefahren schützen.
Heute werde ich mein Rührei mit Tomaten, Zwiebeln und etwas Speck verfeinern. Inzwischen koche ich fast jeden Tag. Manuel, der zuletzt in Brasilien gearbeitet hat, und seit seiner Rückkehr gelegentlich im Pamtree aushilft, ist Fan meiner Küche. Ich koche Spaghetti, Chili und den berühmten Freitagssalat meiner Eltern. Der Clou bei letzterem, sind die in Balsamico-Essig eingelegten Zwiebeln. Generell werden die Soßen von der südamerikanischen Küche sträflich vernachlässigt, wodurch man hier sehr einfach mit ein paar deutschen Finessen punkten kann.
Unter den Palmen im Hostel-Garten schlürfe ich meinen Kaffee, lese ein paar Mails und schaue was Frieder neues auf 54.77.222.196 kommentiert hat. Seit gestern erscheinen meine Tweets auch auf Travelbook. Bin mal gespannt ob das neue Leser bringt. Wenn heute nachmittag noch Zeit bleibt, will ich wieder etwas schreiben. Vielleicht über Kaffee. Das ist doch so ein wichtiges kolumbianisches Thema und muss irgendwie erzählt werden. Im Hostel ist der Kaffee den ganzen Tag kostenlos. Und neulich habe ich eine kolumbianische Kaffeekette entdeckt die „Oma“ heißt. Der Besitzer ist ein Deutscher. Damit habe ich einen Schmunzler bei den Lesern sicher.
Es ist inzwischen fast 10 Uhr. Ich muss mich ranhalten damit Juan Pablo nicht sauer wird. Schließlich steht er seit dem frühen Morgen auf den Beinen und will irgendwann auch Mittagspause machen. Juan Pablo, ist mein Fitnesstrainer. Ein anderer Trainingsgefährte hat ihn neulich als RollsRoyce unter den Trainern in meinem Studio bezeichnet. Hier ist eine Sache, die in Kolumbien viel besser ist als in Deutschland. In Deutschland bekommt man beim Abschluss einer Mitgliedschaft einmalig einen Trainingsplan. Das sind dann immer 10 verschiedene Geräte (weil die Formatvorlage nun mal so ist) und man macht bei jeder 3×12 Wiederholungen. Währenddessen erklärt der Trainer irgendwas Kompliziertes über Muskelaufbau und Ernährung. Und man hat das Gefühl hier etwas ganz Schwieriges zu machen, aber da man zumindest überhaupt was macht, ist man vielleicht besser dran als die, die gar nichts machen. In meinem Fitnessstudio bekomme ich einen riesigen Plan auf dem in drei Farben verschiedene Übungen markiert sind. Heute ist „grün“ dran, also Brust und Arme. „Cuatro a quinze“ Juan Pablo sagt mir genau wie viele Wiederholungen ich mit wieviel Gewicht machen soll. Und wenn ich zwischendurch anfange zu lange über meine Kaffeegeschichte zu grübeln, fragt er streng „Listo?“ „Fertig?“ Inklusive Laufband dauert mein Workout zwei Stunden. 4 Tage die Woche. Das Gute an so einem Sabbatical ist, dass man tatsächlich mal Zeit hat, die Dinge zu machen zu denen man zu Hause so selten kommt.
Ich bin mit meinem Training fertig und lasse mir von Sonia auf dem Dach des Studios einen köstlichen Fruchtsaft mixen. Proteinshakes hat sie leider nicht. Dafür kennt sie die leckersten Fruchtkombinationen. Maracuya zum Beispiel ist besonders lecker mit Tomate de Arbol (gibt’s in Deutschland nicht) und Guave (gibt’s in Deutschland, schmeckt dort aber wie eine andere Frucht). Ich entspanne mich auf meinem Liegestuhl und betrachte die Anden. Noch nie habe ich längere Zeit in einer Stadt mit Bergen gewohnt. Wie verspielt sich die Hochhäuser in den Berghang einfügen.
Herberth kommt vorbei „Hello Mister Gregory“ Herberth ist Physiotherapeut im Studio. Noch eine Sache, die mir hier besser gefällt als in Deutschland (alles akribisch mit Deutschland zu vergleichen ist übrigens auch eine sehr deutsche Reiseeignschaft). Dona Patricia, die sehr viel Joga macht, hatte festgestellt, dass ich einen leichten Watschelgang habe. Meine Füße gehen bei jedem Schritt leicht nach außen. Wie bei einem Balletttänzer. Was lustig aussieht, kann im Alter zu Knieproblemen führen. Nachdem ich von Dona Patricias direkter Art mich auf meinen Gehfehler hinzuweisen, erst genervt war, habe ich jetzt heimlich begonnen daran zu arbeiten. Laufbandtraining mit paralleler Fußstellung und Joggen auf Zehenspitzen. Herberth sagt, dass es alles eine Frage der Wahrnehmung ist. Herberth spricht ein paar Brocken Englisch, weswegen wir uns gut verstehen, obwohl er eigentlich immer das Gleiche erzählt. Er trägt den selben Namen wie mein fast 90-jähriger Opa. Ich scherze mit ihm, dass die Schreibweise seines Namens mit „th“ so alt ist, dass nicht mal Großväter in Deutschland so heißen. Er lacht. Dann gehe ich zurück nach Hause … ins Hostel meine ich. Immer schön einen Fuß parallel zum anderen.
„Möglischkeiten“ Don Miguel spricht Deutsch mit mir. „MögLICHkeiten“ korrigiere ich streng. Das mit dem „ch“ klappt noch nicht so gut. Ich bin sein Deutsch-Lehrer. Profesor Gregório. Kein schlechter Deal, denn ich kann dafür kostenlos im Hostel wohnen. Nachdem wir gestern Grammatik und Aussprache geübt haben, steht heute Konversation auf dem Plan. Ich wiederhole den letzten Satz noch einmal: „Es gibt zwei Möglichkeiten für das Frühstück. Eier mit Toast oder Müsli mit Joghurt“ Don Miguel hat erkannt, dass sich die deutschen Touristen darüber freuen, wenn er mit ihnen auf Deutsch spricht. Da er eine Weile in Hamburg gelebt hat, hat er ein solides Basis-Wissen. Er ist ein mutiger Geschäftsmann. Das Palmtree ist das älteste Hostel Medellins. Alle Skeptiker schüttelten nur mit dem Kopf, als sie hörten, dass er in dieser Stadt ein Hostel eröffnen will. Inzwischen gibt es hier zahlreiche Hostels und fast alle der Gründer sind ehemalige Gäste von Don Miguel. Mir jedenfalls gefällt meine neue Rolle als Deutsch-Lehrer. Es gibt Sachen, die man über die eigene Sprache erst lernt, wenn man sie lehrt.
Die Abende werden von Don Felipe gestaltet. Er ist Professor an einer der hiesigen Unis und hat viele Jahre in Münster gelebt. Seit der Trennung von seiner Frau ist er wieder hier. Er liebt es mit den Touristen über Europa, Kolumbien und die Welt zu philosophieren. „Warum bist du nach Kolumbien gekommen?“ Die meisten Besucher antworten, dass sie von anderen Reisenden gehört haben, dass die Menschen hier so nett sind. Und aus Neugier. Nach ein paar Gläschen Rum kommt dann die Bitte von Felipe bei der Rückkehr etwas Gutes über Kolumbien zu berichten. Ich habe schon seit einer Weile aufgehört Rum zu trinken. Auch die Gespräche mit den anderen Touristen versuche ich kurz zu halten. Da ich mich gerade so schön eingelebt habe, interessiert es mich nicht woher sie kommen und wohin sie als nächstes gehen. Auch will ich nicht daran erinnert werden, dass ich in zwei Wochen hier möglicherweise weniger Attraktionen abgearbeitet habe, als der gut organisierte Zwei-bis-drei-Tages-Tourist.
Übers Tauchen: Wie traumhaft es sich anfühlt Teil eines Fischschwarms zu sein. Ich bin der Clownsfisch Nemo, und neben mir schwimmen schillernde Doktorfische, kleine Krebse und Wasserschildkröten. Korallen sehen aus nächster Nähe so viel farbenfroher aus. Je länger ich verweile, um so mehr verwandeln sich die bunten Kleckse in einen Unterwasserdschungel. Ich habe mich der Strömung angepasst. Selbst Hammerhaie grüßen mich brav. Ich bin so tief getaucht, dass ich zum Teil des Meeres geworden bin. Als sich plötzlich ein Sonnenstrahl von ganz weit oben in meiner Sauerstoff-Anzeige verfängt und ich dann doch schaue wieviel Luft mir noch bleibt.
Medellin, Treffpunkt: Metro-Station San Antonio. Es ist Samstag und ich bin seit über zwei Wochen in Medellin. Heute ist mal wieder Zeit für einen Ausflug. Der deutsche Philipp, der gemeinsam mit Markus und einem Kolumbianer hier eine Reiseagentur betreibt, hatte mich zu einer Tour in die Anden eingeladen. Wir plaudern. Ich erzähle mal wieder wie begeistert ich von dem Klima hier bin. Da erzählt er von einem Artikel, in dem Medellin neulich als eine der Top 3 Destinationen weltweit für das Rentnerdasein gelistet wurde. Ich bin erst amüsiert, dann beginnt mir die Ganze Sache merkwürdig vorzukommen. Eine Kaffeekette die Oma heißt; ein Physiotherapeut mit dem Namen meines Opas, der mich altersfit machen will. Und nun also auch noch das Gütesiegel einer Top-3-Rentnerstadt. Ich kann mich doch noch nicht zur Ruhe setzen! Ich denke an Sam&Sarah, Isabell, Atma, Kitty, AP, River und Rüth, die alle längst Richtung Süden weitergezogen sind. Die Geschichte vom Bleiben ist die Geschichte von Philipp, die ein anderes Mal erzählt wird. Meine Geschichte führt mich auf den Spuren meiner Schnorchel-Freunde weiter nach Süden, aber nicht ohne vorher noch einmal nach Bogotá zurückzukehren…
Wer immer ganz genau wissen will, wo ich gerade bin, kann mich auch gern beim Travel-Twittern verfolgen. https://www.twitter.com/sabbaticalism
Euer Gregório Jones
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