Es gab etwas, das meinem Aufenthalt im „deutschen“ Süden Brasiliens Sinn geben sollte: Das kleine Dörfchen Pomerode. Und zwar nicht, weil ich dort etwas Besonderes entdecken würde. Nein, ich würde etwas Besonderes entdecken, weil ich dort war…
An einem der letzten Tage meines Sabbaticals
Pomerode, Brasilien,
Heute bin ich mit dem fröhlichen Österreicher Oliver beim Stammtisch in Pomerode. Stammtisch? Dieses deutsche Ding? Das, wo sich ein elitärer Kreis älterer Kaninchenzüchter einmal wöchentlich in einer dunklen Spelunke trifft, um bei zu viel Bier immer wieder überrascht festzustellen, dass früher alles besser war? Nein! Wir sind hier in Brasilien. Hier wird draußen bei strahlendem Sonnenschein getrunken. Hier gibt es junge blonde Brasilianerinnen, die auch mittrinken. Ansonst ist es ähnlich elitär. Denn mittrinken dürfen heute nur die Mitglieder der Stammtisch-Gruppen. Nun sind wir leider weder bei „Immer Lustig“, „Prost-Prost“ noch bei den „Schnapsratten“ organisiert. Erste Verbrüderungsversuche bleiben trotz dem bereits hohen Alkoholpegel auf brasilianischer Seite unbeantwortet.
Es bleibt uns also vorerst nichts weiter übrig, als am Currywurst-Restaurant an der Ecke mit einem brasilianischen Bier der Marke „Schornstein“ aufzutanken. Was ist dieses Pomerode doch für ein skuriler Ort? Ich frage mich langsam, ob ich das finden würde, weswegen ich hergekommen bin…
Ein etwas anderes Deutsch
drei Wochen vorher in Rio de Janeiro,
Eigentlich war Elizabeth nur meine Vermieterin. Da ich nun aber schon seit mehreren Wochen in ihrem Appartement wohne, ist das Verhältnis herzlicher geworden. Erst gestern stellte sie wieder mit stolzem Lächeln ein neues Glas selbstgemachter Guaven-Marmelade auf unseren Frühstückstisch. Zu frischgebrühtem Kaffee half sie mir beim Korrigieren meiner Portugiesisch-Hausaufgaben. Und nach meiner Sprachschule traf ich sie auf einen Acai in unserer Lieblings-Saftbar, wo sie mir brühwarm die neuesten Korruptionsgeschichten aus der brasilianischen Politik berichtete. In gewisser Hinsicht war Elizabeth meine brasilianische Vertretungs-Mutter.
In einer noblen Villa in Rios Stadtteil Sao Corado,
Mein Blick schweift über die Küste Rios. Ich bin mit Elizabeth bei ihrer Familie zum Grillen eingeladen. Lecker war es und fleischhaltig. Der Großteil der Familie döst inzwischen am Pool. Im Wohnzimmer läuft eine DVD mit Hits von Freddy Mercury. „Show must go on“ schallt es gedämpft über die gesättigten Gäste. In einer Woche endet mein Portugiesisch-Kurs. Dann wollte ich weiter ziehen. Brasilien entdecken. Brasilien ist flächenmäßig größer als ganz Europa. Nur kann ich mich nicht entscheiden, wo es hingehen soll.
Eine fast achtzigjähre Dame filmt mit ihrem iPad. „Guten Tag, wie geht es dir?“ Die Fast-Achtzigjährige begrüßt mich auf Deutsch. Bruni heißt sie. Irgendwas an ihrem Deutsch ist eigenartig und vertraut zu gleich. Sie stammt aus dem brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina. „Die Leute sehen da so aus wie du. Brasilianer mit blonden Haaren und blauen Augen.“ Sie ist nicht die erste, die mir davon erzählt. Brunis Vorfahren waren Deutsche. Sie selbst war noch nie in Deutschland. Als eine der letzten hat sie in der Schule noch Deutsch gelernt, bevor es wegen Brasiliens Eintritt in den zweiten Weltkrieg verboten wurde. Jetzt fällt mir auch ein, woran mich ihr Deutsch erinnert. Es klingt ein bisschen wie der Dialekt, den meine Oma mit meiner Uroma gesprochen hat.
Auf der Suche nach den brasilianischen Hackbarts
Knapp drei Wochen später in Pomerode, Brasilien
In meiner Erinnerung trägt die Frau an der Touristeninformation ein Dirndl. So wirklich Spaß macht es ihr keinen, mit mir auf Deutsch zu sprechen. Über 150 Jahre ist es her, dass pommersche Auswanderer das kleine Städtchen Pomerode gründeten. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung hat deutsche Wurzeln. Die Frau lächelt deutsch und drückt mir ein paar Prospekte in die Hand. Anhaltspunkte für meine Suche. Vielleicht habe ich ja Familie in Brasilien?
Kurz darauf auf dem Friedhof,
Ich laufe in der tropischen Mittagssonne über den Friedhof von Pomerode. Plastikblumen zieren die Gräber. Wahrscheinlich hätte mir ein bisschen mehr Sonnencreme gut getan. Aber davon lasse ich mich jetzt nicht aufhalten. „Hackbart“ war der Mädchenname meiner Oma. Vor fast achtzig Jahren wurde sie in Pommern geboren. Heute heißt ihre alte Heimat Pomorze und gehört zu Polen. „Krueger“ „Basten“ … Sogar „Dieckmanns“ liegen hier in Pomerode begraben. Nur leider keine Hackbarts.
In der alten Siedlung von Pomerode,
Ich bin im ältesten Teil Pomerodes angekommen. Der Kleinstadt-Flair weicht einer ländlichen Romantik. Es riecht nach Bauernhof. Ob es Hackbarts gibt, frage ich einen älteren Herrn, der schon lange nicht mehr Deutsch gesprochen hat. „Hackbart? Ja. Am Ende der Siedlung.“ glaubt er. Dann entschuldigt er sich für sein schlechtes Deutsch, lächelt verlegen und kehrt weiter das gemähte Gras zusammen.
Eine Neunzigjährige gräbt mit ihrer Tochter den Garten um. „Heißen sie Hackbart?“ Die Frauen verneinen. Wo genau es Hackbarts gibt, wissen sie auch nicht. Wir geraten ins Plaudern. Stolz erzählen sie, dass sie ihrem Enkelsohn neben Portugiesisch auch Deutsch und Plattdeutsch beigebracht haben. Dann empfehlen sie mir morgen zum Stammtisch in die Stadt zu fahren. Das sei was für junge Leute. Und sie verraten mir, wann heute der letzte Bus zurück nach Blumenau fährt.
Wenige Minuten später im Bus,
Das war knapp. Ich bin durch die komplette Siedlung gerannt, um den letzten Bus nicht zu verpassen. Nun habe ich immer noch keine Hackbarts gefunden. Ich werde morgen nach dem Stammtisch einfach noch mal in die Siedlung fahren.
Am nächsten Tag beim Stammtisch,
Laute Blasmusik (?) erschwert die Gespräche. Oliver hat es geschafft mit den Freunden Ostpreussens (?) Freundschaft zu schließen. Zum Glück haben wir vorher noch eine Currywurst als Grundlage gegessen, denn das Bier fließt jetzt in Strömen.
Ich bin kurz über eine der aufgehängten Flaggen irritiert. „In Deutschland wäre die verfassungswidrig“ erkläre ich einer Frau der Stammtisch-Gruppe. Sie lacht und zückt ihr Smartphone. „Das muss ich gleich meinem Mann erzählen.“ Hmm.
Am Nachbar-Stammtisch streiten sich zwei Mädchen. Beide sind ordentlich angetrunken. Tränen fließen. Ob eine von ihnen eine Hackbart ist?
Die Blasmusik scheppert gnadenlos weiter. Ich werde nachdenklich.
Ich glaube es geht mir gar nicht wirklich darum die brasilianischen Hackbarts zu finden.
Nach einem halben Jahr in Südamerika geht es um etwas anderes…
Ein weiteres halbes Jahr später
Es wird langsam Herbst. Aber diese eine Woche ist immer noch ganz besonders sonnig. Es ist mein erster Urlaub nach dem Sabbatical. Mit Koffer statt Rucksack. Und dieses Mal auch nicht allein.
Es ist schon ein ganze Weile her, dass wir alle gemeinsam im Urlaub waren. Gerade sind wir in der alten Siedlung angekommen. Hier stehen Fachwerkhäuser. Es riecht nach Bauernhof. Die See ist nicht weit. Palmen gibt es keine…
„Einfach auf den großen runden Knopf drücken! Und nur einmal. Nicht wieder eine Serie aufnehmen.“
Klick
Dein Gregório Jones (Hackbart)
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