Technik ist dafür da, Ideen und Träume zu verwirklichen. Ideen und Träume, die unterschiedlicher nicht sein könnten.Das UNIT Festival ist eine Konferenz für technikverliebte lesbische, schwule, bi-, trans-, inter- und heterosexuelle Menschen – oder kürzer: “Einhörner”, wie sie Stuart, der Gründer der Unicorns in Tech bezeichnet. Bereits zum zweiten Mal findet das UNIT Festival nun schon in Berlin statt. Dieses Mal im Postbahnhof am Ostbahnhof. Mit mir als einem der Moderatoren. Das wird die erste Moderation in meinem Leben.
“Ich habe keinen Bock auf Akzeptanz und Toleranz,” erklärt mir Stuart. “Es gibt andere Länder, die noch nicht so weit sind und wo das sicher wichtig ist. Hier in Deutschland möchte ich wertgeschätzt werden. Wie jeder andere, der einen guten Job macht.” Als er kurz vor dem Berufseinstieg stand, hatte er gerade sein Coming Out als schwuler Mann bei seinen Freunden hinter sich. “Es war ein befreiendes Gefühl. Aber das waren jetzt meine Freunde. Da draußen wartete noch eine andere Welt – die Berufswelt. Willst du dich outen? Es könnte ja deine Karriere behindern. Sagst du, dass du den neuen Kollegen heiß findest oder nicht? Spielst du ein Spiel oder bist das du?” Diese Überlegungen inspirierten ihn zur Gründung der Karrieremesse Sticks & Stones, seinem bisher erfolgreichsten Projekt für die LGBT-Community. Meine Wertschätzung hatte er sich schon verdient.
Dass ich heute hier moderiere, habe ich zu einem großten Teil meiner lieben Freundin Regi (sprich: Redschi) zu verdanken. In einer Phase, in der ich mir mal wieder unsicher war, ob diese Festanstellung als Projektmanager im Medienbereich so das richtige für mich ist, meinte sie: “Ich könnte mir dich super als Moderator vorstellen. So bei Events in Einkaufszentren.” Nun gut. Man soll ja immer mal wieder was Neues ausprobieren.
So lächeln Einhörner
Technik ist dafür da, Ideen und Träume zu verwirklichen. Ideen und Träume, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Bühne, auf der ich moderiere, wurde nach Kate Craig Wood benannt. Man könnte sie als “Nerd” bezeichnen, denn während ihres Studiums der Biomedizin, brachte sie sich selbst – so ganz nebenbei – noch mehrere Programmiersprachen bei. Am Herzen liegen ihr die Themen “Energie Effizienz in der IT”, “Frauen in der IT” und “Transgender Akzeptanz”. Sie wurde 2009 von Management Today als eine der Top 35 Frauen unter 35 Jahren gelistet. In einem Interview sagte sie einmal, dass sie für junge Transfrauen gerne das Vorbild sein möchte, welches sie selbst nie gehabt hat.
Jovan ist mein erster Speaker (früher sagte man mal Redner oder Vortragender). Der gebürtige Serbe liebt “Computational Chemistry”
“Wie bist du denn dazu gekommen?”, frage ich ihn. “Ich war immer Chemiker und Gamer. Damit habe ich jetzt beides in einem,” verrät er mit fröhlichen Augen.
Der Gehirnforscher John nutzt Technik, um herauszufinden, was unser Gehirn über unser Bewusstsein verrät. So gelingt es ihm teilweise schon vorrauszusagen, wie sich eine Person entscheiden wird. Ganze 7 Sekunden bevor sie es selber weiß.
Ohne dass ich damit gerechnet hätte, gibt es erstes positives Feedback vom Publikum. “Es gefällt mir, dass alle deine Sessions (= Vorträge) pünktlich beginnen”, meint Mary. Meine liebe Freundin Regi ist da etwas kritischer. “Du musst das Mikro näher an den Mund halten, damit man dich besser hören kann. Sonst machst du das aber sehr gut.”
Kraftvoll sage ich meine nächste Speakerin an. Berit war für eine Weile fast unsichtbar. Sie ist nach London gegangen, um ihre Doktorarbeit zu schreiben. Grundlagenforschung zu einer Technik, die irgendwann den Tarnumhang von Harry Potter wahr werden lassen könnte. Seit kurzem ist sie wieder zurück in Berlin. „Vieles hat sich hier verändert. Die meisten meiner Freunde sind verheiratet und haben Kinder. Aber sie sind immer noch da.“
Aubrey hat es nicht leicht. Da hat sie nun schon so ein buntgewürfeltes Publikum, welches lesbisch, schwul, bi, trans, inter, hetero und wer weiß was noch alles ist, und die meisten sind trotzdem zu schüchtern sich knallige Klamotten, schrille Perücken und falsche Brüste umzuschnallen. Dabei sollen sie doch nur lustig verkleidet, fotografiert und dann auf Instagram veröffentlicht werden. Viele der hiesigen Einhörner sind wahrscheinlich doch zu deutsch. In ihrer Heimat New York wäre das einfacher. (Wenn du schauen willst, wer mutig genug war sich trotzdem zu verkleiden, einfach bei diesem Link ganz nach unten scrollen)
Gott sei Dank, war Heidi zur Stelle. Heidi ist mit ihren 66 Jahren inzwischen in Rente und verdient sich hier im Club Postbahnhof als Putzfrau etwas dazu. Sie ist gelernte Blumenbindnerin. Nach der Performance von Aubrey musste auf der Kate Craig Wood Bühne flink wieder umgeräumt und gekehrt werden, um dem nächsten Programmpunkt Raum zu geben. (Liebe Heidi, danke noch mal für den Besen.)
Es ist eine Sache, darüber zu reden, dass Massentierhaltung irgendwie schlecht ist. Es ist eine andere, Massentierhaltung aus den Augen eines Schweins zu betrachten. Als 360° Video. Stefanie hat gut Lächeln. Seit 2009 ernährt sie sich nun schon vegan. Sie arbeitet als Aktivistin bei Animal Equality. „Wir wissen, dass unsere Arbeit Sinn ergibt und etwas bewegt!“ Den Betrachtern war nach diesem Video nicht so recht zum Lächeln zumute.
Inken ist die letzte Speakerin auf meiner Bühne. Sie spricht übers Networking – darüber wie Technik uns hilft, mit anderen Menschen Verbindungen einzugehen. Damit es meinem Publikum in Zukunft leichter fällt seine Superkräfte zu aktivieren und die individuelle Komfortzone zu erweitern, will sie, dass ein Satz hängen bleibt: „Wer nicht fragt, bekommt immer ein Nein.“ Natürlich würde sie es mir – dem lächelnden Moderator von der Kate Craig Wood Bühne – nicht abschlagen können, ein Foto von ihrem Lächeln einzufangen.
Es gab noch weitere passionierte, technikverliebte Einhörner auf meiner Bühne: den Dinge-Intelligent-Macher Henrik Rieß, den Alles-In-3D-Ausdrucker Murat Vurucu, den Inneneinrichtungs-Meister Christo Mitov, den lebenden Shuh-Empfehlungs-Algorithmus Humberto Corona, die Empathie-Aktivistin Penelope Kemekenidou, die Instant-Paid-Dating-Promoterin Pia Poppenreiter und den Sonnen- und Regenbogen-Experten Klaus Jäger. Ich brauche deine wertvolle Aufmerksamkeit jetzt aber noch für ein weiteres Einhorn … und für meine kleine Geschichte.
Eine rosarote Welt voller glücklicher Einhörner?
Viele der Besucher und Speaker waren ganz “normale” Heteros. Doch die Tatsache, dass hier ein Klima der gegenseitigen Wertschätzung herrschte – einer Wertschätzung, die unabhängig von Sexualität vergeben wurde – machte das UNIT Festival an diesem Tag zu einem besonderen Ereignis.
Danik ist das letzte Einhorn, welches ich an diesem besonderen Tag fotografieren würde. Er hat einen Großteil der Organisation für das Festival gestämmt. “Ich bin ein Gay Aktivist.” Danik kommt ursprünglich aus Kirgisistan – einem der Länder, die bei LGBT-Themen noch mit Toleranz und Akzeptanz ringen. Sein Coming Out war öffentlich. Die Reaktionen darauf auch. Es wurde so schlimm, dass er Morddrohungen bekam und schließlich außer Landes gebracht werden musste. Doch es gab auch schönes Feedback von anderen queeren Kirgisen: “Nachdem ich dich im Fernsehen gesehen hatte, hatte ich mein erstes Date. Mir wurde klar, dass es da noch andere Leute, wie mich gibt.”
Im Vergleich zu Danik ist sie völlig harmlos. Ein bisschen traurig finde ich sie trotzdem: die Geschichte vom schwulen Moderator der Kate Craig Wood Bühne.
Flashback
In den 80ern, in Karl-Marx-Stadt, DDR,
Es ist Weihnachten und ich hüpfe aufgeregt durch unsere Stube. Vor ein paar Wochen durfte ich mit der Kindergartengruppe auf den Weihnachtsmarkt. Auf der Bühne hat mich der Weihnachtsmann gefragt, was ich mir von ihm wünsche. “Ein Mikrofon”, habe ich laut und deutlich gesagt. Ob er sich das gemerkt hat? Kurz darauf holt der Vati den Weihnachtsmann in die Stube. Ein bisschen anders sieht der ja jetzt schon aus. Hoffentlich läuft da nichts schief. Das ganze Artigsein wäre umsonst gewesen. Er gibt mir das Geschenk. Ich öffne es. Yuuhuu!!! Ich tanze wieder durch die Stube. “Pass auf den Baum auf. Nicht, dass das Lametta herunterfällt”, sagt die Mutti freudig, aber behütend. Ich lache. Ich bin das glücklichste Kind auf der ganzen Welt.
Die 80er waren eine gute Zeit. Ich liebte es die moderne Technik meines Mikrofons und des Rekorders zu nutzen, um stundenlang Kassetten mit wilden Phantasie-Geschichten zu besprechen. Die Wende war auch nicht verkehrt. In Nullkommanichts hatte ich die komplette Buchrückenreihe der lustigen Taschenbücher zusammen. Das einzig blöde war, dass ich jetzt nicht mehr dieses rote Halstuch bekommen würde. Dafür hatten wir jetzt aber McDonald’s, Döner Kebaps und Disney-Filme.
Dann kamen die 90er. Mit ihnen die Pubertät und die Erkenntnis, dass ich wohl nicht deswegen so viele Freundinnen hatte, weil ich so ein toller Hecht war, sondern weil ich sie halt einfach nur nett fand und uns irgendwie mehr Themen verbanden. Dank Arabella Kiesbauer und Bärbel Schäfer ahnte ich irgendwann auch, was mit mir los war. Nur leider funktionierten diese schrillen Typen, die in den Talk Shows vorgeführt wurden, nicht so wirklich als Vorbilder. Mit 15 würde ich mich in diesen einen Typen aus meiner Schule verlieben. Wäre schon schön gewesen, ihm das einfach sagen zu können. Wahrscheinlich wäre es aber dumm gewesen. Denn diese andere Minderheit an meiner Schule, die sich ohne sichtbare innere Konflikte lautstark als “rechts” outete, hätte das vermutlich nicht ganz so lässig genommen. Daher steckte ich meine Energie lieber darein, nicht versehentlich auf einem dieser idiotischen “Gaydars” aufzuploppen. Hey …Ich wurde richtig gut darin, nicht ich zu sein. Man entwickelt dabei ein paar komische Ängste. Aber da kein Gefühl so treu ist, wie die Angst, gewöhnt man sich irgendwann auch daran. Angst hat einen hässlichen Nebeneffekt. Sie ist die Handbremse für das Verwirklichen der eigenen Träume.
Seit damals hat sich nicht nur in meinem Leben viel zum Positiven verändert. Ich finde es faszinierend, welche Fortschritte unsere Gesellschaft bei dem queeren Thema gemacht hat. Bei großen Konzernen gehören LGBT-Mitarbeiter-Netzwerke inzwischen zum guten Ton. Israel bewirbt auf Broschüren mit Muskel-Typen in knappen Badehosen, wie gay friendly das Land ist. In den USA, wo ein Mann wie Donald Trump zum ernsthaften Präsidentschaftskandidaten werden kann, gab es trotzdem eine Mehrheit für die Homo Ehe. Wenn ich heute noch mal 15 wäre, wahrscheinlich könnte ich dann ganz entspannt sagen, was ich fühle. Dann würde ich mir eine Abfuhr von meiner “großen Liebe” abholen, zwei Wochen lang denken, dass ich jetzt sterben will und mir sicher sein, dass ich nie wieder so fühlen würde. In der Zeit würde ich peinliche theatralische Statusmeldungen auf Facebook veröffentlichen, die ich dann kurz darauf voller Scham wieder lösche. Ganz genau so, wie jeder gesunde Teenager eben. Dann würde mich eine liebe Freundin aufbauen. Ich würde mich wieder fangen und endlich beginnen intensiv an meiner Karriere als Snapchat-Star zu arbeiten. Während andere fleißig für die Fußball-Nationalelf trainieren, will ich nämlich mit 18 so berühmt sein, um dann vom Snapchatten leben zu können.
Rosige Zeiten für alle Einhörner da draußen? Ich würde das sehr gern glauben, nur bin ich mir da nicht so sicher. Denn da draußen gibt es leider auch verdammt viele besorgte Kleingeister. Solche die Angst davor haben, dass wir sie überholen könnten, wenn wir nicht mit angezogener Handbremse durchs Leben fahren. Nichts ist so effektiv, wie jemanden wegen etwas auszugrenzen, was seine Persönlichkeit ausmacht und was er nicht ändern kann. Dafür wo er herkommt, wie er aussieht oder eben dafür, wen er liebt. Solange es auf unserer Erde genug besorgte Kleingeister gibt, bleibt diese Welt, die das UNIT Festival für einen Tag gezeigt hat ein “Queertopia”. Eine rosarote Blase, die für einen kurzen Moment existiert, um danach wieder an der Realität zu zerplatzen. Aber, mal ehrlich: Das ist doch die einzig wirklich lebenswerte Welt. Und wir haben die Möglichkeit sie zu erschaffen. Denn wir können besser mit Technik als die Kleingeister. Wenn wir nur Vollgas geben.
One more thing
Dieses Mal wäre es mir tatsächlich wichtig, dass du kein unsichtbarer Leser bleibst. Falls dir meine Geschichte gefallen hat, freue ich mich über deine Wertschätzung. Ich freue mich besonders, wenn du die Geschichte teilst, kommentierst oder auch einfach nur likest. Genau so großartig sind neue Verfolger auf Facebook, Instagram, Snapchat oder per Newsletter. Falls dir die Geschichte nicht gefallen hat, würde ich mich über deine Gedanken per E-Mail freuen. Vielleicht bist du ja meine Chance zu lernen, was ich in Zukunft besser machen kann.
Dein Gregor Thorand
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